Der Raum ist eine Gemeinschaft benannter Orte.
Lévi-Strauss, Das wilde Denken
Was ist ein Raum? Diese Frage wird die meisten Menschen wohl eher irritieren. So selbstverständlich mutet sich die Antwort. Ich stelle gerne diese Frage, besonders als einleitendes Brainstorming in meinen Lehrveranstaltungen. Die Wortmeldungen sind immer sehr breit gestreut. Von Begriffen aus der Architektur bis hin zu psychologischen und philosophischen Begriffen findet sich vieles, das scheinbar nichts miteinander zu tun hat. Aber nur scheinbar!
Nachdenken über Raumbegriffe offeriert eine Vielzahl an Auffassungen und offenbart einen im Wandel befindlichen Diskurs über Raumdefinitionen. Aber es gibt auch ein örtliches Vorher und Nachher: Vorher finden wir den Platz, nachher den Ort im Raum. In diesem Blog möchte ich sie vom Platz über den Raum hin zum Ort mitnehmen.
Begriffe im Wandel
Raumbegriffe werden sehr disziplinspezifisch genutzt. So werden in der Architektur, in den Natur- wissenschaften, in Soziologie und Philosophie unterschiedliche Raumbegriffe verwendet. Junge disziplinübergreifende Wissenschaften, wie die Topologie, versuchen, allgemeingültige Definitionen zu finden.
Im Mittelpunkt der Betrachtung in diesem Blog stehen Wohn- und Arbeitsräume. Aber auch diese lassen sich von verschieden Seiten betrachten.
Lage, Lage, Lage
Das ist das Credo, wenn es um die Wertigkeit von Immobilien geht. Architektur, Einrichtung und Außengestaltung lassen sich nach dem Kauf verändern. Nur ein Faktor ist nachträglich vollkommen unbeeinflussbar: Die Lage des Objekts. Daher zählt der Lagefaktor zu einer der wichtigsten Kriterien bei einem Immobilienkauf.
Neben der Lage gibt es jedoch noch weitere Standortfaktoren, wie die Infrastruktur oder die Nachbarschaft. Käthe Bachler beschreibt in Zusammenhang mit dem Schlafplatz den „guten Platz“. Damit gemeint sind geobiologische und energetische Phänomene, die belastend wirken können. Dies gilt auch für Immobilien und deren Lage.
Geomantische Faktoren beschreiben die Eigenqualitäten von Grundstücken. Wir bezeichnen sie als „Genius Loci“ und als „Anima Loci“. Eine geomantische Standortanalyse ist ein ebenso wichtiger Schlüsselfaktor, wie das Geomarketing und die Untersuchung der Käuferfrequenz.
Leerer und gefüllter Raum
Das Wort Raum stammt aus dem althochdeutschen „r?m“ = weit, geräumig. Das Wort beschrieb ursprünglich auch „das nicht Ausgefüllte“, den „freien Platz“ (vgl. das Wort „räumen“), die gerodete Stelle im Wald. Leerer Raum war in früherer Zeit ein Statussymbol, vgl. „Ruhm“.
Gegenstand neuerer Betrachtungen ist der „gefüllte Raum“, d. h. eine räumlich strukturierte Lebenswelt mit gestalteten Räumen und deren Erlebnisqualität.
Statische Raumaspekte
Das Gebäude, das wir auf einem Grundstück errichten oder die Wohnung, die wir beziehen, definiert sich durch drei Dimensionen, Länge, Breite und Höhe. Erst durch die Schaffung von Grenzen entsteht der physisch-dimensionale Raum.
Raumwende (spatial turn)
Seit dem sogenannten „spatial turn“ vor 20 bis 30 Jahren werden Räume schließlich als soziale Produkte beschrieben. Der Raum wird nicht mehr als ein Behälter verstanden, in dem sich Menschen befinden. Stattdessen erscheint der Raum nun als das Ergebnis sozialer Beziehungen, das dem Interesse und Handeln einzelner Menschen entspringt.
Dies hat weitreichende Konsequenzen bei der Gestaltung von Räumen. Denn der Zweck eines Raumes orientiert sich an wechselseitigen Beziehungen. Und diese finden auf mehreren Ebenen statt – mental, emotional, geistig und seelisch.
Dynamische Raumaspekte
Unter dem Begriff Raum wird nicht mehr nur etwas Statisches verstanden, etwas, das ein Innen umschließt und ein Außen begrenzt, sondern vielmehr die ganze Vielfalt an kontextuellen Bezügen, die entstehen, wenn jemand oder etwas sich in Bewegung oder in einem Prozess befindet.
Räume eröffnen sich sowohl im Denken wie in der konkreten Lebenswelt, jeden Moment neu und immer in Beziehung zu Personen, Situationen und Dingen. Eben dynamische Aspekte von Gelegenheit, Möglichkeit und Entwicklung.
Resonanz- und Beziehungsräume
Raum wird verstanden als das, was eine Person erlebt. Er besteht aus der materiellen Umwelt und gedanklichen und gefühlten Hinzufügungen. Materielle Gegenstände sind daher in ein Geflecht von Bezügen eingebunden. Es entsteht eine Resonanz zwischen Mensch und Raum.
Der Raum stellt einen wichtigen Speicher dar, der etwas repräsentiert, jedoch beim Betrachter auch etwas bewirkt. Es wird deutlich, dass dem Zweck eines Raumes nicht die alleinige Aufmerksamkeit zukommen sollte, sondern dass eine wechselseitige Beziehung zwischen dem Raum der sich darin befindenden Person besteht. Sie sind nicht als voneinander unabhängig zu sehen, sondern stehen durch wechselseitige Resonanz in ständiger Interaktion.
Eigenqualitäten des Raumes
Die spürbare und wahrnehmbare Eigenlebendigkeit eines jeden Raumes bezeichnen wir als Atmosphäre. Wie die physische Atmosphäre die Erde umgibt, so ist auch jeder Ort und jedes Ding von der jeweils eigenen Atmosphäre eingehüllt. Und sie entsteht auch durch den Menschen. Alle mentalen und emotionalen Abdrücke des Menschen im Raum werden von den umgebenden Materialien gespeichert und färben die Atmosphäre.
Die Gestaltung von Atmosphären
Das eigentliche Thema der Gestaltung eines Praxisraumes ist der gestimmte Raum. Atmospheric Design wird zur vielversprechenden Methode. Für die Gestaltung von Räumen und deren Übergänge, aber auch als Gestaltungsmittel interaktiver Prozesse. Es kann im Sinne des ursprünglichen Verständnisses von „Design“ als Einheit von implizitem Gehalt und expliziter Gestalt verstanden werden.
Orte in den Räumen
Raum und Ort sind miteinander verwandte Begriffe, daher wird Ort (place) häufig auch darüber definiert, dass er zu Raum (space) abgegrenzt wird. Was aber unterscheidet den Raum vom Ort?
Orte haben Identität und entstehen durch die Bedeutung, die ihnen von Menschen gegeben werden. Orte haben Geschichte und Menschen identifizieren sich damit. Dies aufzugreifen gelingt Planern nicht immer, wenn sie überhaupt Rücksicht darauf nehmen.
Innenräume in den Räumen
Ein Beispiel aus der Praxisgestaltung: In der Abfolge der Räume vom Warteraum bis zum Behandlungsraum und in der Anordnung der „Raumhüllen“, wobei im Zentrum ein warmer, inniger Kontakt, gut abgesichert durch zahlreiche „Außenhüllen“, möglich ist, kann sich der „gemeinsame Raum“ der Beratung, Behandlung und Therapie entwickeln und sich die „Innenräume“ der Beteiligten öffnen, entfalten und entwickeln.
Mag. Wolfgang Strasser
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