Proportionen und Intervalle

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Eine harmonikale Architektur

Proportionen in der Architektur haben nicht nur einen visuellen Effekt, sie wirken sich auch stark auf unser Wohlbefinden aus. Ein Raum, der nach den richtigen Proportionsprinzipien gestaltet ist, fühlt sich für uns natürlich und angenehm an. Das richtige Verhältnis von Länge, Breite und Höhe kann darüber entscheiden, ob wir uns in einem Raum wohlfühlen oder nicht.

Viele ikonische Gebäude nutzen geometrische Konzepte, um hervorstechende Formen zu entwickeln. Ein gutes Beispiel dafür ist der Louvre in Paris mit seiner gläsernen Pyramide. Die klaren Linien und die Symmetrie erzeugen eine visuelle Ruhe und Ordnung, die das Bauwerk besonders eindrucksvoll machen.

Vitruvius’ berühmteste Vermächtnis sind wohl die drei Prinzipien guter Architektur: Firmitas: Festigkeit, Utilitas: Nützlichkeit und Venustas: Schönheit. Diese drei Säulen sollten in Balance zueinander stehen und sich nicht gegenseitig dominieren.

Proportionale Regeln

Proportionale Regeln, wie der Goldene Schnitt, werden oft unbewusst wahrgenommen, wirken jedoch tief auf unser Unterbewusstsein ein. Räume, die nicht proportional sind, können sich chaotisch oder gar bedrückend anfühlen, während harmonische Proportionen das Gegenteil bewirken. Dies ist einer der Gründe, warum wir uns in bestimmten Gebäuden besonders geborgen oder inspiriert fühlen – es sind die unsichtbaren maßlichen Beziehungen, die unser emotionales Erleben lenken.

Auch die moderne Forschung zur Architekturpsychologie bestätigt die Bedeutung der Proportionen in der Architektur. Studien zeigen, dass Menschen in Räumen, die nach harmonischen Prinzipien gestaltet sind, weniger gestresst sind und eine höhere Zufriedenheit empfinden. Architekten können diese Erkenntnisse nutzen, um Räume zu schaffen, die nicht nur funktional, sondern auch gesundheitsfördernd sind. Das Bewusstsein für Proportionen ermöglicht es, Orte zu gestalten, die nicht nur optisch ansprechend, sondern auch emotional wohltuend sind.

Diatonische Intervalle – Harmonie der Zahlen

Schon Pythagoras entdeckte, dass Klänge, die wir als harmonisch empfinden, auf einfachen Zahlenverhältnissen beruhen: Oktave (2:1), Quinte (3:2), Quarte (4:3). Diese Proportionen galten nicht nur in der Musik als ideal, sondern fanden auch in der Architektur Anwendung. Die Idee: Wenn der Mensch auf harmonische Verhältnisse in der Musik reagiert, tut er es auch beim Sehen. Harmonische Intervalle sind konsonant, ausgewogen, in sich ruhend.

Sowohl im Sehsinn wie im Hörsinn rufen die Verhältnisse kleiner ganzer Zahlen angenehme Empfindungen bei uns Menschen hervor. Das Zahlenverhältnis von 2:3 beispielsweise erzeugt Flächen oder Räume von klarer, wohltuender Wirkung.

Wellenlängen, die im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen zueinander stehen und miteinander in Resonanz kommen, regen sich gegenseitig zum Mitschwingen (Mitklingen) an.

Die Intervalle dienten als Grundlagen für harmonische Proportionen in der Architektur. Harmonische Proportionen sind Prim 1:1, Oktave 2:1, Quint 3:2 und Quart 4:3 und Gr. Terz 5:4 und Kl. Terz 6:5

Prim      1:1Einheit, Ursprung – völlige Identität
Oktave   2:1Wiederkehr der Einheit auf höherer Stufe (Spiegelung)
Quinte   3:2Schöpferische Ordnung, Ausgleich, Vollkommenheit, weiblich
Quarte  4:3Formbildende Kraft, Struktur, Grenze, männlich
Gr. Terz5:4Licht, Öffnung, Klarheit, Aufblühen
Kl. Terz6:5Innerlichkeit, Wärme, Seele

Manchmal braucht es aber auch disharmonische Proportionen, um etwas in Gang zu bringen, Verkrustetes aufzubrechen, Veränderung zu ermöglichen. Das sind vor allem die Intervalle mit den „Großen und Kleinen“ von Sekunde, Terz, Sext und Septime. Disharmonische Intervalle sind dissonant, spannungserzeugend, unruhig.

Kl. Sekunde10:9Spannung, Nähe, Drang zur Auflösung, Enge, Konflikt
Gr.Sekunde9:8Annäherung, Bewegung, Kommunikation, Gegensatz
Kl. Septime9:5Streben zur Auflösung, Unruhe, Suche, emotionale Tiefe
Gr. Septime15:8Fast zu Oktave, Annäherung an Vollendung, noch unruhig
Kl. Sexte8:5Spannungsträger, Ernste Schönheit, tragende Melancholie
Gr. Sexte5:3Erweiterte Harmonie, Weite, mit Tendenz zur Auflösung

Ditonus und Tritonus sind ganz besondere „Aufbrecher“:

Ditonus81:64Überdehnte Harmonie, eine zu helle Öffnung – wie ein Fenster ohne Rahmen. Eine Überspannung, die noch nicht von einer höheren Ordnung gehalten wird.
Tritonus45:32Krise, Spannung, Zwischenwelt, Umbruch, Tor zum Neuen. Er zwingt zur Bewegung – eine Transformation muss erfolgen.

Diatonische Intervalle in Ebenen

Du kannst dir die Intervalle auch wie Stufen in einem harmonikalen Bauwerk vorstellen:

Prim & OktaveFundament & Vollendung
reine Einheit (monadisch – göttlich)
Quinte & QuarteStrukturachse
Gestalt, Raum, Ordnung (Weltachse – Logos)
Terzen & SextenSeelisches Zentrum
Wärme, Empfinden, Lebendigkeit (Herzraum)
Sekunden & SeptimenBewegung & Spannung
Beziehung, Dynamik, Konflikt und Entwicklung
Ditonus & TritonusKrisispunkt
Übergang, Initiation, Chaos vor Neuordnung

Wurzelproportionen prägen Bauepochen

Im Laufe der Geschichte wurden auch Wurzelzahlen wie ?2 Quadratur, ?3 Triangulatur, ?4 Oktave und weitere in Proportionen verwendet, um bestimmte Verhältnisse zwischen den Teilen eines Gebäudes oder einer Konstruktion zu definieren. Da diese meist nicht durch eine ganze Zahl darstellbar sind, wurden Näherungen verwendet, die für die jeweiligen Baumeister ausreichend genau waren.

V2 Quadraturerdend, schwer, festigend, innerlich, kontemplativ, Romanik
V3 Triangulatur aufstrebend, leicht, dynamisch, äußerlich, kommunikativ, Gotik
V4 Oktave ruhend, ausgeglichen, anmutig, Antike, Renaissance, Klassizismus

Der Goldene Schnitt – die bekannteste Proportion

Die bekannteste Proportion ist der Goldene Schnitt (lat. sectio aurea oder regula area), auch Göttliche Proportion (lat. proportio divina oder sectio divina) genannt. Das Teilungsverhältnis 1,618 heißt ?=(Phi) nach Phidias. Auch Euklid behandelte den Goldenen Schnitt in seinem Werk „Elemente“.

Die Verhältnisse des Goldenen Schnittes stammen aus der Natur und ihrem natürlichen Wachstum. In der Architektur erzeugt er eine Spannung zwischen Symmetrie und Asymmetrie, die als besonders angenehm empfunden wird.

Ableitungen vom Goldenen Schnitt sind das Goldene Rechteck, das Goldene Dreieck, der Goldene Winkel und die Goldene Spirale.

PS: Es gibt auch einen Silbernen Schnitt und einen Bronzernen Schnitt

Die Fibonacci-Reihe

Ähnliche Teilungsverhältnisse wie der Goldene Schnitt hat auch die unendliche Zahlenfolge der Fibonacci- Reihe (0, 1, 1, 3, 5, 8, 13, usw.) von Leonardo Fibonacci aus dem Jahr 1202. Die Fibonacci-Reihe ist interessant für die Gestaltung, da es sich um ganze ganzzahlige Zahlenwerte handelt.

Das Goldene Rechteck

Ein Goldenes Rechteck ist ein Rechteck, dessen Seitenverhältnis der beiden Seiten dem Goldenen Schnitt entspricht. Entfernt man einen quadratischen Abschnitt, entsteht wiederum ein Goldenes Rechteck.

Das Goldene Dreieck

Ein Goldenes Dreieck ein gleichschenkliges Dreieck, bei dem die Längen der Schenkel zur Länge der Grundseite im Verhältnis des Goldenen Schnitts stehen. Man unterscheidet zwischen dem Goldenen Dreieck erster Art (gleichschenklig-spitzwinkliges Dreieck mit 72°, 72°, 36°) und dem Goldenen Dreieck zweiter Art (gleichschenklig-stumpfwinkliges Dreieck mit 36°, 36°, 108°).

Der Goldene Winkel

Ebenfalls aus der Natur abgeleitet ist der Goldene Winkel. Dieser beträgt 137,5°. Der Winkel findet sich in der spiralförmigen Anordnung von Pflanzenblättern wieder. In der Natur ist diese Anordnung nicht nur aus ästhetischen Gründen vorhanden, sondern lebensnotwendig, damit jedes Blatt Licht bekommt und nicht die unteren Blätter verdeckt werden.

Die Goldene Spirale

Durch die Teilung eines Rechtecks nach den Prinzipien des Goldenen Schnitts entstehen weitere verschachtelte Rechtecke. Werden diese an ihren Eckpunkten durch eine gebogene Linie verbunden, entsteht eine Spirale, die der Fibonacci- Reihe folgt und als Goldene Spirale bezeichnet wird.

Die optische Mitte

Ein weiterer Bereich der Formaufteilung ist die Mitte. Es gibt zwei verschiedene Mitten eines Formats, die mathematischen Mitte und die optische Mitte.

Mittelmaße sind nicht mittelmäßig

Um die Vielzahl der verschiedenen Proportionen zu harmonisieren, beschreiben Alberti und Palladio die Anwendung der Mittelmaße. Zur größeren Variationsmöglichkeit wird von beiden Architekten das arithmetische Mittel, das geometrische Mittel und das harmonische Mittel beschrieben.

Menschliche Proportionen

Vitruv, Leonardo da Vinci und Le Corbusier fanden die Grundlagen ihrer Proportionssysteme in der menschlichen Gestalt. Hier wurden alle Größen aufeinander bezogen. Le Corbusier entwickelte ab 1940 ein einheitliches Maßsystem basierend auf den menschlichen Maßen und den Eigenschaften der Fibonacci-Zahlen und dem Goldenen Schnitt. Er veröffentlichte es 1949 in seiner Schrift Der Modulor.


Über den Autor:

Mag. Wolfgang Strasser ist Lebensraumberater und -coach, Unternehmens- und Kommunalberater. Mit RAUMIMPULSE berät er Menschen bei der Gestaltung ihrer Lebensräume.

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