Das Esszimmer und die Kunst des Genusses
Im Esszimmer werden wie in keinem anderen Raum alle Sinne angesprochen. Es ist ein Raum der Sinne, in dem die Kunst des Genusses praktiziert werden kann. Heute ist der Raum meist vergesellschaftet mit der Küche, oft auch mit dem Wohnzimmer. Hat das Esszimmer ausgedient? Was macht ein Essbereich mit uns? Multifunktionale Räume erweisen sich oft als gestalterische Hausforderungen. Ob Raum oder Raumzone, es braucht jedenfalls eine funktionierende Raumenergetik, um alle Sinne anzusprechen.
Der Essbereich im Wandel der Zeit
Der Essbereich und die Kochstelle sind wie ein Paar mit wechselnden On-Off-Beziehungen im Laufe der Kulturgeschichte. Ein kleiner, aber raumenergetisch und -psychologisch relevanter Überblick:
Die Essküche
Die Feuerstelle unserer Ahnen war auch der Ort, wo die Speisen eingenommen wurden. Bis ins 19. Jahrhundert war es ganz üblich, dass man dort aß, wo man auch kochte: in der Küche. Archetyp des Feuerplatzes – mehr als essen, auch kommunizieren
Sie war oft der einzig beheizte Raum, auf den sich der gesamte Haushalt und das Familienleben konzentrierte. Jahrhundertelang lebte man in Europa in dieser räumlichen Einheit von Kochen und Essen.
Das Esszimmer
Nach und nach schafften sich jene, die es sich leisten konnten, ein separates Esszimmer an. So wie es die herrschaftlichen Häuser vorzeigten. Der Raum wurde für das mittlere und gehobene Bürgertum zum Statussymbol, in das man Gäste einlud und zeigte, was man hatte.
Essen in Küche oder Wohnraum
Wer sich ein Esszimmer nicht leisten konnte, der integrierte den Essbereich wieder in die Küche. Oder in das Wohnzimmer. Bis in die 60er Jahre war in den Haushalten die Wohnküche der zentrale Ort des familiären Alltags. Das eigentliche Wohnzimmer benutzte man hingegen als „gute Stube“ lediglich an Sonn- und Feiertagen und wenn man Besuch hatte.
Der Wohn-, Ess-, Kochraum
Heute erfolgt ein Trend zurück zur Wohnküche. Also Küchen, in denen sowohl gekocht, gequatscht, als auch gegessen wird. Mehr noch, auch das Wohnzimmer wird in diesen multifunktionalen Raum integriert. In den Blogs über Küche und Wohnen habe ich mich bereits mit den dabei auftretenden raumpsychologischen und -energetischen Folgen auseinandergesetzt.
Der Essbereich in der Wohnung
Öffentlichkeit im Raum
In den vergangenen Blogs habe ich bereits zwischen öffentlichen, privaten und intimen Räumen im Haus unterschieden. Öffentlich sind jene, in denen sich pulsierendes Leben abspielt und wir Gäste empfangen. Der Essbereich gehört in jedem Fall mit dazu – und damit auch alle weiteren Raumzonen, die sich im gleichen Raum befinden, wie Küche und Wohnen.
Privatheit dazwischen
Die räumliche Verbindung von kochen, essen und wohnen hat auch seine Tücken. Als Teil des multifunktionalen Raumes funktioniert das Kuscheln im Wohnbereich nicht mehr. Die Couch wurde zu einem „öffentlichen“ Ort, wie die Küche und der Essplatz selbst. Das kann auch ganz ok sein, wenn man sich dessen bewusst ist. Gekuschelt wird dann anderswo.
Rückenschutz und Überblick
Auf die Positionierung des Tisches im Raum ist besonderes Augenmerk zu legen. Vergleichbar mit dem Bett und dem Schreibtisch soll sich hinter dem Esstisch eine Wand als Rückenschutz befinden. Mit Blick zu Tür und Fenster, wie die besten Plätze im Restaurant. Für ein entspanntes Verweilen am Tisch auch über das Essen hinaus.
Platz zwischen Tür und Angel
Der Esstisch steht häufig vor einer Glaswand zur Terrasse. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Wenn der Bereich zwischen Haus- und Terrassentür aber durchgängig und durchsichtig ist, wird es zu unruhig. „Energieautobahn“ nennt man diese Situation, wenn die ankommende Lebensenergie auf kurzem Wege das Haus wieder verlässt. Ein Essplatz auf dieser Linie ist nicht gemütlich.
Kommunikative Sitzordnung
In der klassischen Variante sitzen die Paare auf einer Seite und die Frau zur Rechten des Mannes. Frauen und Männer sitzen dann diagonal. Dies ist auch kommunikativ die bessere Lösung, da sich ansonsten das Gespräch sehr schnell teilt.
Am quadratischen Tisch ist die kommunikative Variante, wenn sich Männer und Frauen gegenüber sitzen. Sitzen sich Männer (Frauen) gegenüber, bezeichnet man diese Variante konfrontativ.
Tisch- und Stuhlformen spielt mit
Formen spielen eine wichtige Rolle in der Raumgestaltung, noch vor Farben und Materialien. Besonders die Tafel tabula – das Brett und der Tisch discos – Scheibe bzw. discus – Schüssel steht im Zentrum der Betrachtung. Es spielt eine Rolle, ob rund, oval, quadratisch oder rechteckig. Hier kommt eine archetypische Symbolik zur Anwendung.
Und Vorsicht mit Ausziehtischen und Glastischen! Bei Letzteren fällt gerne alles durch die Glasplatte durch. Auch geteilte Tischplatten sind ungünstig, weil sich der Spalt im Sitzbereich fortsetzt.
Harmonikale Einrichtung
Länge und Breite eines Rechtecks stehen in einem Verhältnis, in einer Proportion. Diese kann harmonisch oder disharmonisch sein, wie wir es aus der Musik kennen. Schauen Sie sich Ihre Tischplatte mal genauer an, welche Stücke sie spielt.
Der Essbereich für alle Sinne
„Das Auge isst mit“ – deshalb ist der Platz, an dem gegessen oder gemütlich Kaffee getrunken wird, für uns sehr wichtig. Es ist ein Ort der Geselligkeit, der Freude und des kulinarischen Genusses. Für die Familie und für Gäste. Wir können die Zeit zu Tische aber nur dann mit allen Sinnen genießen, wenn wir gleichzeitig auch den Raum mit allen Sinnen genießen können. Ein paar Tipps dazu:
Schmecken
Wir kennen es vom Mostbauer und aus dem Weinkeller – am Ort des Entstehens schmeckt es am besten. Die Einheit von Kochen und Essen, räumlich und zeitlich, ermöglicht ungeahnte Geschmackserlebnisse. Wenn die Raumgestaltung schon eine geschmackvolle war, wird es auch die Nutzung sein. Und die Zubereitung der Speisen wird zur künstlerischen Tätigkeit.
Riechen
Der frische Duft des Kochens regt den Appetit an. Aber was ist nach dem Essen? Der Einsatz natürlicher Düfte ist gefragt. Ein angenehmer Duft ist essentiell für unser Wohn- und Wohlgefühl, denn unser Geruchsempfinden entscheidet mit darüber, wie wir einen Raum wahrnehmen. Studien haben gezeigt, dass Düfte Hirnregionen aktivieren, die eng mit dem Gedächtnis und der Verarbeitung von Gefühlen zusammenhängen – etwas, das die meisten von uns aus dem Alltag kennen.
Sehen
Der Essplatz ist ein Ort der Lebendigkeit. Der optische Sinn wird aber meist überfordert. Liegt der Essplatz im Durchblick von der Haustür bis zur Terrassentür, kann sich unser Blick nicht senken. Auch zuviel an Deko kann ablenken. Wir sind ständig auf der Hut und das Speiseritual geht ohne Genuss an uns vorbei. Bei aller gewollten Lebendigkeit des Ortes braucht es eine optische Beruhigung.
Auch die Auswahl der Wandfarben wirkt auf unsere Stimmung. Sie agieren zwischen Anregung und Beruhigung. Blau oder Violett schlagen sich sogar auf unseren Appetit und wären regelrecht kontraproduktiv – außer man möchte abnehmen. Warme Farbtöne zwischen gelb, orange und rötlich eignen sich da schon besser.
Hören
Achten Sie bei der Raumgestaltung, dass die Akustik funktioniert. Das Raumgefühl einer Bahnhofshalle ist hinderlich für den örtlichen Genuss. Naturbaustoffe und natürliche Einrichtungsmaterialien sind hilfreich für eine angenehme Akustik im Raum. Und nebenbei fördern sie ein angenehmes Raumklima und verhindern stressige elektrostatische Aufladungen.
Tasten
Nicht nur die Auswahl von Bau- und Einrichtungsmaterialien, auch deren Oberflächenbearbeitung entscheidet mit über warmes Wohlsein oder kalter Abneigung. Naturbelassene Materialien befriedigen nachweislich die Sehnsucht nach Authentizität und Ursprünglichkeit. Natürlich sollen sie kein Ersatz für den Gang in die Natur sein, aber diese doch ein Stück weit in die Wohnräume bringen.
Zum genussvollen Schluss
Jeder Raum ist ein Raum des Genusses. Achten Sie nicht nur bei der Raumgestaltung auf den Genuss – auch beim Wohnen und allem was in einer Wohnung geschieht, darf dieser nicht zu kurz kommen. Ein Magengeschwür hat selten nur eine Ursache – und kommt selten alleine.
RAUMIMPULSE
Mag. Wolfgang Strasser
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